Von Gertrud Schubert
Klavier spielt er. In die zwölfte Klasse am Elly-Heuss-Knapp-Gymnasium Heilbronn geht er. Naturwissenschaften mag er. Und Frisbee liebt er. Der schnellen Wurfscheibe gehört Nils Reinerts (18) ganze Leidenschaft. Die hat die ganze Familie Reinert in Böckingen erfasst, genauer gesagt: die Männer.
Tim (12), Jörg (16), Nils (18) und ihr Vater Gerhard Reinert lassen die Scheibe flitzen. Katrin Reinert (20) rudert lieber, im U23-Ruder-Achter ist sie Vizeweltmeisterin und damit Sportlerin des Jahres geworden.
Und die Mutter Ingrid Reinert schaut bloß zu? Nicht doch. Sie lacht. Und rudert oder joggt mit den Ihren. Mit der Frisbeespielerei hat sie es nicht so: „Das ist doch irgendwie eine Kunst.“ Aber es kommt schon vor, dass alle sechs Reinerts durch den Wald rennen. Sie sind eine sportliche Familie. Nils und Jörg zählen sogar zu den Frisbee-Nationalspielern. Und alle freuen sich riesig auf die Deutsche Meisterschaft, von 4. bis 6. Juli gehört das Frankenstadion und die Sportplätze ringsum den Frisbeespielern.
Spaziergang mit Scheibe Wann alles anfing? Legendär ist, dass Nils Vater mit seinen Brüdern bei Vettern in Amerika das Spiel kennenlernte und nicht mehr davon loskam. Und es gibt ein Foto von Nils mit Frisbeescheibe. Da war er vier Jahre alt. Früh übt sich... Aber so genau weiß das Nils nicht mehr.
Die Scheibe war meist Begleiter auf den Familienspaziergängen. Die Kinderschar lief vorneweg, der Vater warf weit, weit - wer schmeißt das Frisbee zurück? Das war das ganze Spiel. Eine unmerkliche Beschleunigung des gemeinsamen Unterwegsseins.
Klar: Man ist am besten groß (196, sagt Nils, nicht so arg begeistert). Und der Langsamste darf man auch nicht sein, wenn man in einer Frisbee-Mannschaft punkten will. Der Rest ist raffinierte Spieltechnik. Ein faszinierendes Zuspiel. Geschwindigkeit. Zweikämpfe ohne Körperkontakt. Weitwurf - 70 Meter schüttelt Nils locker aus dem Handgelenk. Elegant sieht es aus, wenn ein Spieler hinter Rücken oder Kopf die ansausende Scheibe abgreift.
Natürlich fliegt das Frisbee nicht immer sicher von Hand zu Hand. Wie oft fehlt ein ganz kleines bisschen, „ein Muggeseggele“. So nennt sich Nils Mannschaft in der Deutschen Jugend Kraft (DJK), albern, fröhlich, unernst - so wie es bei Frisbeespielern üblich ist.
Kein Schiedsrichter Der „Geist des Spiels“ ist’s, der Nils zur Scheibe zieht: „Jeder spielt so fair wie möglich.“ Schiedsrichter brauchen die Frisbeespieler nicht. Sie verhandeln eine Minute lang, ob nun ein Foul vorliegt oder nicht. Die Scheibe geht an den Werfer zurück, war alles in Ordnung. Akzeptiert er das Foul, hat der Gefoulte den nächsten Wurf. Das klappt immer.
Für Frisbeespieler ist das keine Glaubensfrage: Die Welt ist eine Scheibe. Der Ball ist immer eine runde Sache, speziell für Leute, die sich mit schlechten Wurfscheiben abmühten. Das kann einfach keinen Spaß machen: Sie eiern. Fliegen irgendwohin, stürzen ab, sind echte Spielverderber. Die klassische Plastikscheibe aber misst im Durchmesser 28 Zentimeter, ist am Rand wie ein Suppenteller nach innen gebogen und verstärkt - so fliegt sie sauber und wird nicht von jedem Windhauch abgetrieben. Nils persönlich hat zwei Frisbees. Im Hause Reinert sind es aber mindestens zehn.